Es ist zum Haare raufen, es scheint tatsächlich unmöglich zu sein eine ausgeglichene, sachliche und nicht tendenziöse Berichterstattung über Elektroautos zu machen. Nicht mal die ARD hat das in der Story im Ersten „Kann das Elektro-Auto die Umwelt retten?“ hinbekommen.

Produziert hat den Beitrag der WDR, der sich sogar noch zu einem „passenderen“ Clickbait-Titel in seinem YouTube-Kanal hinreissen lässt:

Elektroautos: Wie sie die Umwelt zerstören

Jeder weiss natürlich, dass auch ein Elektroauto die Welt nicht retten kann. Jeder sollte heutzutage aber eben auch begriffen habe, dass in Zukunft die Fahrzeuge unserer Welt elektrisch bewegt werden sollten. Weder Benzin, Diesel oder Gas, noch die Brennstoffzelle bieten eine vergleichbare Ökonomie und Ökologie.

, Solange wir uns nicht mit Luft und Liebe fortbewegen können, ist die Elektromobilität mit Batterie unser bestes Ziel – lokal sauber, sehr effizient und mit steigendem Anteil Ökostrom im Netz von Jahr zu Jahr auch global immer sauberer. Das haben nun wirklich hinreichend viele Studien gezeigt, hier ein guter Startpunkt dazu: Elektroautos nur sinnvoll mit 100 % Ökostrom?

Gewinnung der Ressourcen

Besonders wichtig ist dabei selbstverständlich, dass wir nicht vom Regen in die Traufe bezüglich des Abbaus benötigter Ressourcen kommen. Die Förderung und Verarbeitung von Öl ist ein dreckiges Geschäft und der Beitrag zeigt, dass auch Rohstoffe für Elektroautos bei der Förderung ihre Probleme und Risiken mit sich bringen.

Im Beitrag wird nun gezeigt, dass in einem Dorf in Argentinien ein 12m tiefer Brunnen früher einmal 1,5m Grundwasserstand hatte und heute durch die Lithium Gewinnung nur noch 0,5m hat. Es würde das empfindliche Ökosystem der Salzseen gestört und das Süßwasser würde knapp für Dorfbewohner und Nutztiere. Der Wind der aus den Trocknungsbecken die Überreste des Salzwasser in die Augen der Menschen und Tiere bringe, würde für Reizungen sorgen.

Das ist in der Tat blöd und es sollten Lösungen dafür gefunden werden. Verschwiegen wird nur leider, dass es auch andere Wege der Lithium-Gewinnung gibt. So lässt sich in anderen Gebieten und Ländern Lithium auch mit Bergwerken abbauen. Hier ist der Beitrag leider unangenehm unscharf und lastet die Probleme mit der ignoranten lokalen Regierung und die nicht idealen Fördermethoden dem Elektroauto an.

Pest oder Cholera

Den Finger in die Wunde zu legen, ist mit Sicherheit notwendig. Nur so lässt sich Druck auf Regierungen und vor allem Hersteller aufbauen. Diese sollten ihrer Verantwortung gerecht werden und die Bedingungen peinlich genau kontrollieren und Verstöße ahnden.

Was mich neben der weggelassenen Erwähnung der alternativen Lithium Gewinnungsmethoden aber ganz besonders an dieser Passage nervt, ist das Verschweigen der Alternative für den MIV (motorisierter Individualverkehr). Dieser benötigt Öl, welches ebenfalls häufig unter extrem Menschen- und Umweltunwürdigen Bedingungen gefördert wird.

Hier sprechen wir aber nicht von Augenreizungen, sondern von schwersten ökologischen Schäden und lebensgefährlichen Bedrohungen für Menschen und Tiere. Dazu gibt es aber kein Wort und erst recht keine Abwägung was nun schlimmer ist.

Der laufende Klimawandel wird auch für die oben genannten Argentinier kommen und ebenfalls drastische Auswirkungen auf die Wasserversorgung haben. Dieser Situation von Pest und Cholera scheinen sich aber weder die Dorfbewohner, noch die Produzenten der Reportage bewusst zu sein.

Heimliche Verursacher

Natürlich scheint nur das Elektroauto der Sündenbock zu sein. Dabei steckt schon sehr lange in vielen unserer Produkte der wertvolle Rohstoff, siehe das folgende Diagramm:

Verwendung Lithium
Datenquelle: USGS Mineral Resources

Die Lithium Batterien in Smartphones und anderen elektronischen Lifestyle-Produkten werden natürlich genauso ignoriert. Im Diagramm stecken diese nämlich ebenfalls rechts im blauen Kuchenstück und machen davon den deutlich größeren Anteil aus.

Diese moralische Frage traut sich aber offensichtlich niemand zu stellen, anders ist das aktuelle Geschrei in den sozialen Medien nicht zu begreifen, welches gerade von Seiten der Elektroauto-Hasser aufgrund des ARD-Beitrages durch das Netz schallt. Man fühlt sich bestätigt und genießt jetzt erst recht das Petrol-Head Dasein.

Unsägliche Schwedenstudie

Der unerträglichste Part des gesamten Filmes ist das Zitat von den längst als falsch entlarvten 17t CO2 Ausstoß für die Herstellung eines 100kWh Akku von Tesla. Grundlage war eine schwedische Metastudie die falsch interpretiert wurde. Diese Sau wurde schon vor zwei Jahren durchs Internet-Dorf getrieben und zwar viel zu oft. Menschen glauben diesen Unsinn leider bis heute, Widerrufe werden nie so gerne gelesen wie der ursprüngliche Clickbait-Artikel.

Die Studie hatte keine eigene Datenerhebung vorgenommen, sondern bediente sich als Metastudie vieler anderer Studien und mittelte die Werte. Wissenschaftlich ist das korrekt, leider waren viele Werte der originären Quellen aber längst veraltet. So haben wir im Jahr 2018 stolze 40% erneuerbare Energien im Stromnetz gehabt. Das sah vor zehn Jahren natürlich noch ganz anders aus! Diese und weitere Kritikpunkte sind sehr gut von Electrify-BW zum Nachlesen und Nachhören aufgearbeitet worden: Electrify-BW – der Podcast #14: Der CO2-Rucksack eines Elektroautos

100kWh Batterie, so wie in vielen Autos deutscher Hersteller

Eine Unschärfe, die man eigentlich mit einem Lächeln verzeihen könnte, ist die Behauptung, dass viele Elektroautos deutscher Hersteller eine 100kWh große Batterie hätten. Im Kontext dieses leicht tendenziösen Beitrages muss ich dennoch darauf eingehen. Die deutschen Hersteller haben es bis heute nicht geschafft ein zum Tesla Model S konkurrenzfähiges Elektroauto auf den Markt zu bringen, insbesondere bezüglich Verbrauch und Reichweite.

So sind die Fahrzeuge von Tesla die einzigen im gesamten Serienfahrzeug-Markt, welche eine solche Akkugröße bieten. Umgekehrt ist es somit natürlich völlig falsch aufgrund der angeblich großen Akkus deutscher Elektroautos die Verursachung von 17t CO2 zuzuordnen – selbst wenn die weiter oben genannte Interpretation der Schwedenstudie bezüglich CO2-Menge stimmen würde.

Auto ist Auto?!

Noch absurder ist dann aber der Vergleich mit Mittelklasse-Autos mit Verbrennungsmotor. Diesen bescheinigt man 100.000km als break even point, bis diese tatsächlich dreckiger sind als die 100kWh Elektroautos. Dumm nur, dass ein Tesla Model S alles andere als Mittelklasse-Auto ist. Es handelt sich mit über fünf Meter Länge und fast 2,20m Breite um eine stolze Oberklasse-Limousine! So beliebt Tesla auch ist, aber solche Fahrzeuge bestimmen sicher nicht das alltägliche Bild auf deutschen Straßen.

Wissen muss man ausserdem, dass Tesla die Gigafactory in Nevada, aus der die Zellen für die großen Akkupakete kommen, vollständig energieautark mit Wind-, Sonne- und Geothermie-Energie versorgen wird, wenn sie fertiggestellt sein wird. Das ist ungehähr das genaue Gegenteil von den im Film genannten chinesischen Kohlekraftwerken.

Wieso im Beitrag dann auch noch von Seltenen Erden aus China für Elektroauto-Batterien gesprochen wird, müsste mir mal jemand erklären als wäre ich sechs Jahre alt. Drauf verzichtet Tesla nämlich und meines Wissens auch andere Hersteller. Seltene Erden stecken in einem Tesla Model S etwa soviel wie in einem handelsüblichen Computer. Sogar die Elektromotoren des Model S kommen bisher ohne aus!

Der Wurm muss nun mal dem Fisch schmecken, nicht dem Angler!

Richtigerweise kritisiert wurde aber tatsächlich der Trend zum Elektroauto mit immer größerer Reichweite. Wir fahren ein Tesla Model S 75D, die 75kWh sind mehr als üppig und reichen für angenehme Reiseetappen von 300km, wohlgemerkt bei normaler Fahrweise. Das kleinere Model 3 (tatsächlich Mittelklasse) verbraucht weniger und kommt mit 55kWh dennoch genau so weit.

Herr Schuh ist zwar der Meinung, dass man auch mit 100km durch den Tag kommt, womit er faktisch im Durchschnitt auch recht hat, aber der Wurm muss nun mal dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Kunden möchten Sicherheit, Flexibilität und Komfort, das hat Bundesumweltministerin Schulze (SPD) völlig richtig erkannt. Es müssen Autos gebaut werden, die auch jemand kauft und nicht welche, die nach dem Datenblatt am meisten Sinn ergeben aber niemand haben will. Das entspricht meinen Erfahrungen aus hunderten Gesprächen der letzten Jahre mit potentiellen Elektroautokäufern und auch meinen 75.000km Renault ZOE und 45.000km Tesla Model S.

Der Sweet-Spot liegt zwischen 300 und 500km Reichweite, je nach Fahrzeugklasse und Anforderungen. Damit können wohl die meisten Verbraucher sehr gut leben, damit könnte sich also das Elektroauto vermutlich auf breiter Front durchsetzen.

Mobilitätswende

Natürlich finde ich auch weitere positive Aspekte dieser Dokumentation der Firma Thurn Film. Es ist vollkommen richtig, wir brauchen nicht nur Elektroautos, sondern auch eine Mobilitätswende: mehr ÖPNV, mehr Radverkehr und mehr Sharing – mindestens letzteres wird meines Erachtens auch im kommenden Jahrzehnt sehr deutlich in Form von autonomen Schwarmfahrzeugen passieren. Das andere ist stark abhängig von der Politik, den Wählern und vor allem den Verbrauchern!

Ganz ohne Privatautos wird es wohl auch nicht gehen

Diese Aussage im Film lässt mich dann wirklich wundern, wieso der Narrativ des Werkes dann so gewählt wurde, dass das Elektroauto direkt aus der Hölle zu kommen scheint. Wer nicht im Thema ist, wird von diesem Beitrag maßlos vom Elektroauto abgeschreckt. Wer aber zugleich nicht vom ÖPNV und der Radnutzung überzeugt werden kann, fühlt sich durch die angeblich nicht vorhandene Verbesserung des Umweltschutzes zwangsläufig bestätigt einfach so weiter zu machen wie immer: Gutes altes Öl verbrennen. Klimawandel? Ist doch eh nicht zu ändern!

Warum fördert die Bundesregierung eine Mobilität, die mit dem Trend zu großen Batterien, nachweislich die Umwelt stärker belastet, als unsere jetzigen Autos?

Kleine Autos werden sich genau so durchsetzen wie die großen Fahrzeuge. Trotz SUV-Zeitalter, davon bin ich überzeugt. Festgestellt werden muss jedoch, dass die Bundesregierung sicher eine Menge Richtung ÖPNV und Radverkehr tun muss und sollte. Das ist bisher zu wenig! Alles auf eine Karte zu setzen, wäre aber deutlich zu einfach, zu riskant und zu naiv! Und ich betone nochmal: Auch ein Elektroauto mit 100kWh Akku ist sauberer als ein vergleichbarer Verbrenner!

Der MIV, nicht nur der private, wird nicht so schnell weichen wie es unser Klimawandel erfordern würde. Daher ist es vollkommen richtig, eben auch auf die Elektromobilität zu setzen. Der technologische Fortschritt und die Akzeptanz dieses Antriebs wird am Ende auch für ÖPNV und Carsharing wichtig sein.

Ein guter Anreiz kann vielleicht die im Film vorgestellte und offenbar sehr gelungene Smartphone App sein. Die smarte Lösung aus Litauen sucht aus der breiten Auswahl der Mobilitätsangebote die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten heraus und macht diese einfach nutzbar. Umsteigezwänge werden allerdings dennoch das Gros der Bürger vermutlich nicht dazu motivieren können. Meines Erachtens wird die autonome Schwarmmobilität so eine App aber ohnehin bald ein gutes Stück überflüssig machen.

Recycling

Die Filmproduzenten weisen auf die richtigen Dinge hin, vermitteln aber trotzdem ein falsches Bild. Wieso bringt man plötzlich alte Fernseher ins Bild, die in Afrika verbrannt werden um ein paar Rohstoffe zu extrahieren, spricht aber eigentlich vom Elektroauto? Werden diese in Zukunft wirklich in Afrika verbrannt? Wohl kaum!

Recycling ist sehr wichtig, nicht nur für die Akkus aus den Elektroauto, sondern für alle ausgedienten Konsumprodukte. Deshalb steht dies auch fest im Plan der Elektrifizierung und wird im Beitrag gut vermittelt. Was aber ist mit dem zweiten Verwendungsweg vor dem Recycling? Dieser verbessert die Umweltbilanz der Akkus enorm, wird aber leider gar nicht behandelt.

In Autos ausgediente Akkus lassen sich noch Jahre und Jahrzehnte in stationären Speichern in Firmen und Privathäusern verwenden, um den Anteil des Eigenverbrauchs von selbst erzeugtem Ökostrom zu erhöhen, Netze zu entlasten und schlussendlich die alten Kraftwerke der zentralen Energieversorgung zunehmend überflüssig zu machen.

Fazit

Der Film von Florian Schneider und Valentin Thurn macht einiges richtig. Er legt den Finger in viele Wunden die noch korrekt verarztet werden müssen. Rohstoffe müssen umweltverträglich abgebaut werden, wir brauchen mehr ÖPNV und Radverkehr und ausgediente Elektroautos müssen weitgehend vollständig recycelt werden.

Mit kleineren Autos, weniger Straßenverkehr und hohen Recycling-Quoten – nur so kann Elektromobilität seinen Beitrag zur Rettung der Umwelt leisten.

Was der Film aber dramatisch falsch macht, ist die Vermeidung des Vergleichs mit dem Status Quo und den Alternativen. Er enthält viele kleine und einige große Ungenauigkeiten bei den wichtigen und ergebnisrelevanten Fakten. Das schürt unnötigerweise weiter die Vorbehalte gegen das Elektroauto und ist ein Geschenk für die ohnehin starke Lobby der Autoindustrie.

Mit der Meinung stehe ich auch nicht alleine dar. Die Elektroauto-Szene ist in Rage und kritisiert entsprechend scharf. Anstatt dreimal in Argentinien Lamas zu zeigen, hätte man vielleicht mehr erfahrene Elektroauto-Fahrer zu den kritischen Aspekten Stellung nehmen lassen sollen. Die Fans des Verbrennungsmotor instrumentalisieren bereits ausgiebig die Dokumentation um ihre Lust auf Benzin und Diesel weiter zu rechtfertigen – ein echter Bärendienst für unsere Umwelt!

Edit 13.06.2019: Ein ebenfalls toller, sehr empfehlenswerter Artikel ist hier zu finden: Wie eine ARD-Doku absurdes Zeug über Elektromobilität verbreitet und dadurch den Klimawandel verstärkt